weil die nazis uns das himmelblau gestohlen haben, nehmen wir uns das braun!
wir rufen alle leute in friedrichshain-kreuzberg auf, uns mit ihrer unterschrift zu helfen! das original muss zum bezirkswahlamt (frankfurter allee 35/37), bis 15.mai kann noch die hauspost jedes anderen amtes dazu genutzt werden. die sogenannten UUs sind für uns viel wichtiger als stimmen!!!! bei 200 stück bekommen wir sendezeit auf dem rbb 😀
alle kennen den wahlomat. aber die begründungen der parteien lesen nur wenige. zu diesen muss mensch wissen: es stehen immer nur 500 zeichen zur verfügung. der wahlomat gibt den parteien 83 realpolitische fragen, die mit „ja“, „nein“ und „vielleicht“ zu beantworten sein sollen. das geht natürlich nicht. meistens sind schon die fragen falsch. in mehreren sitzungen diskuttieren die aktivist*innen der B* diese fragen. am ende schaffen es aber nur 38 in die entgültige version:
– Zur Geschichte und Perspektive anarchistischer Parteien –
ein A-Laden Experience [ALEx]-Impulsvortrag zur Diskussion von R@lf G. Landmesser 2016 im Baiz, mit Ergänzungen von das beni
Einleitung
„Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.“
Das kann mensch mit einiger Berechtigung so sehen. Einzufügen wäre: „etwas GRUNDSÄTZLICHES ändern würden“. Kleine Verändrungen – sogar welche mit großen Auswirkungen, die nicht an den Grundfesten des NeoLiberalen Kapitalsystems rütteln, werden im Gegenteil als frische Modernisierungstendenzen gern gesehen und garantieren die notwendige gesellschaftliche Zustimmung.
Aber so wahr dieser Spruch ist, so wahr ist auch, dass unsere Lebens- und Alltagserfahrung zeigt, dass Wahlen sehr wohl etwas an eingefahrenen Strukturen und anscheinend fest betonierten Machtverhältnissen etwas ändern können, ja geradezu umstürzlerisch wirken können. Wie weit diese umstürzlerische Wirkung letztendlich von den globalen Mächten toleriert wird und wie lange, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin können die Verhältnisse ganz schön in Bewegung geraten und Bewegungen gebären.
Dass Wahlen nichts verändern, ist so richtig wie falsch: als vor 80 Jahren 1936 nach Diktaturen und rechtsreaktionären Regierungen in Spanien die Wahlen anstanden, rief die anarchosyndikalistische CNT mit ihren zwei Millionen Mitgliedern und deren Umfeld dazu auf, die Wahlen diesmal nicht zu boykottieren. Ziel war der Sturz der rechten Regierung und die Befreiung zehntausender politischer Gefangener. Eine linke republikanische Mehrheit kam an die Macht. Gegen diese putschte im Juli des selben Jahres ein großer Teil des royalistisch-klerikal-faschistisch eingestellten Militärs und es kam zur Spanischen Revolution, um die bis 1939 gekämpft wurde. In der Regierung stellten die Anarchist*inn*en der CNT/FAI aus Gründen der antifaschistischen Einheit sogar mehrere Minister*innen. Die CNT wurde also faktisch zur Partei. Dies wurde auch von Teilen der Anarchist*innen scharf kritisiert.
Wäre Spanien damals nicht von den Demokratien Europas im Stich gelassen worden, hätte die Republik zweifellos gesiegt und möglicherweise wäre der Zweite Weltkrieg verhindert worden. Das weiß jeder Mensch, der sich näher damit und mit Anarchismus beschäftigt hat.
Also können Wahlen zu bestimmten historischen Zeitpunkten sogar gravierende Änderungen hervorrufen. Eine Vielzahl von Beispielen könnte hier noch angefügt werden.
Auch Herr Hitler kam ganz legal durch Wahlen an die Macht. Dass er danach die
totale Macht ergreifen konnte, ist auf die tätige Unterstützung der konservativ-reaktionären Parteien im Verbund mit großen Teilen des Kapitals zurückzuführen, denn die NSDAP hatte nie die absolute Mehrheit und hätte 1933 jederzeit von vereinten Demokraten gestürzt und zerschlagen werden können, so wie schon 1920 der Kapp-Lüttwitz-Putsch durch Generalstreik und Volksbewaffnung verhindert wurde.
Zur Zeit erleben wir wieder einmal die unerfreuliche Seite solcher wahlbedingten Machtverschiebungen und die Reaktionäre müssen offenbar kaum befürchten von anderen Mächten eingehegt oder gar ausgebremst oder gestoppt zu werden:
in der Türkei spielt sich gerade ein unappetitliches religiös-faschistoides
Machtspiel um die absolut-diktatorische Regierungsgewalt ab, auf der Basis einer
Partei mit absoluter Mehrheit (der Stimmen, wohlgemerkt), wobei „Gewalt“ hier
wörtlich zu nehmen ist. Es wird mit dem ganzen Militärapparat ein
hoffnungsvoller Friedensprozess weggebombt, der Journalismus wird geknebelt und zur Regierungsmarionette, die unabhängige Justiz wird lahmgelegt und
Basisbewegungen werden gnadenlos niedergeknüppelt, und um beim Thema zu bleiben, demokratische Parteien behindert, erpresst und verboten. Und ganz Europa hofiert dennoch dieses türkisch-sultanische Haberfeldtreiben in der Hoffnung, dass die Erdoganschen Heerscharen Europa die meisten Geflüchteten vom Hals halten – wie, das kann mensch schon ahnen.
Ganz so weit sind andere Staaten Kerneuropas noch nicht, aber die Orbanisierung Europas schreitet offenbar voran: autoritäre Parteien machen sich allenthalben breit, entwickeln semifaschistische Programme und setzen diese rücksichtslos um.
Kippt als nächstes die Kernmacht Frankreich und wird FN-Land? Ungarn, Slowakei und Slowenien, die baltischen Staaten und das rechtslastige Dänemark, nicht zu vergessen das Öster-Reich, trampeln einen gefährlichen Pfad in die vermeintlich alleuropäischen humanistischen Werte von Aufklärung und Säkularität, der bald zur Reichs-Autobahn nach ultrarechts werden könnte.
In Polen ist 2015 erneut die unsägliche dumpfkatholische Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit – Prawo i Sprawiedliwo) mit ihrem Kaczynski-Bruder Jaroslaw an der Spitze an die Macht gewählt worden. Das Land sieht zunehmend wie ein Zerrpiegel Ungarns oder der Türkei aus. Weiter gen Osten changiert die suspekte Ukraine zwischen NeoFaschismus und Emanzipation von der Oligarchie. Putin in Russland, „demokratisch gewählt“ scheint das Vorbild all dieser Alpha-Ärsche zu sein, die eine ganz spezielle Vorstellung von Demokratie haben: nämlich, dass diese IHNEN zu dienen hat, die sich für die ersten und berufensten Diener des von ihnen imaginierten Staates und Volkstums halten. Putin hat es vorgemacht: Annektionen wie die der Krim lohnen sich wieder. Und es lohnt sich, einen effektiven Geheimdienst gegen die Opposition einzusetzen. Was wunder: Putin war selbst einmal sein Chef – ist es faktisch wahrscheinlich noch immer. Die Zustimmung der Masse des dummen Volks ist ihm sicher. Dass es auch hierzulande massenhaft! „Putin-Versteher“ gibt, von denen nicht wenige sich bei AfD und Pegida finden, zeigt wes Geistes Kind diese Leute sind und dass auch hier Anlass zur Besorgnis ist.
Hand in Hand mit diesen neoautoritären Parteien der „gelenkten Demokratie“ gehen neoreligiöse Bewegungen wie die der ultrareaktionären christlichen Orthodoxen in Russland, oder der Erdogan-Muslime in der Türkei. Ausgerechnet mit diesen Orthodoxen Russlands, die sich als rechte Hand Putins erweisen, meint der doch dem Anschein nach so relativ liberale und sozial verantwortliche katholische Papst Franziskus nun ein Bündnis schmieden zu müssen – protegiert von Kuba, dem letzten Hort der Revolution. Ist das wirklich der geeignete Zeitpunkt zur Vereinigung der römisch-christlichen Kirchen nach tausend Jahren Bruderzwist?
Was hätten wir zu erwarten, vereinigten sich diese dogmatischen Christen wieder und fänden überdies eine neue heilige Allianz mit fundamentalistischen Muslimen, Juden, Hindus und anderen Religionen? Gottlob ist das kaum in Kürze zu erwarten.
Im eigenen Land sehen wir einen erdbebenartigen „Zerfall der Parteienlandschaft“ unter dem Druck der medial hochgepushten Angstreaktionäre der AfD. Nur nach emanzipativ-links bewegt sich nix. Bei erdrutschartigen Wahlsiegen dieser Rechtspopulist*innen wurden bis zu einem Viertel der abgegebenen Stimmen (bei hoher Wahlbeteiligung!) erobert. Und damit eine millionenschwere Parteienfinanzierung gesichert, die diese rechtsreaktionären Strukturen stärken und ihnen neue Macht zuführen wird. Das ist nicht nur Grund genug zur Besorgnis, sondern jeder Grund für Alarmstufe ROT.
Also ändern Wahlen doch etwas? Allerdings, das tun sie und wir echauffieren uns zu Recht darüber. Führt der ewige Wahlboykott der Anarchist*innen zu etwas?
Nicht dass ich wüsste. Er geht seit Jahrzehnten im Nichtwählen der
Desinteressierten und Frustierten einfach unter und macht nicht einmal „Blubb!“.
Schlimmstenfalls führt er zum Obsiegen der Rechten wie einst in Spanien.
Das sehen unausgesprochen dann doch eine ganze Menge Libertärer so und machen irgendwo taktisch ihr Kreuzchen, damit wenigstens die ganz Schlimmen weniger Chancen haben, an die Macht zu kommen und die auch noch vorhandenen wenigen aufrechten Demokraten gestärkt werden. Das ist vielleicht weniger als ein Zünglein an der Waage, aber vielleicht hilfts ja, denken sie.
Viel mehr Spaß allerdings macht es wirklich „aktiven Wahlboykott“ zu betreiben -zum Beispiel mit der Gründung einer eigenen Partei. Das kann schon mal ziemlichen Wirbel verursachen, und wenn schon nicht die Macht mit uns ist, haben wir wenigstens die Lacher auf unserer Seite. Denn Lachen über die Mächtigen ist subversiv. Nichts fürchten sie mehr, als für lächerlich gehalten zu werden und als Popanze auf tönernen Füßen dazustehen. Wobei wir nach der langer Vorrede beim Thema wären.
Anfänge
Was einst Peter Kropotkin und August Rheinsdorf bewogen hat, 1874 in Genf ein anarchistisches Parteiprogramm zu schreiben, das habe ich bis heute nicht herausfinden können und auch das Dokument dazu blieb mir bisher unauffindbar.
Jedenfalls haben die beiden damals zu diesem Behufe die klugen Köpfe
zusammengesteckt. August Rheinsdorf, der Buchbinder und weit herumgekommene erste Propagandist des Anarchismus in deutschen Landen, hat den seinen dann später verloren, als er zusammen mit anarchistischen Arbeitern den deutschen Kaiser samt Hofstaat bei der Einweihung des nationalistischen Niederwalddenkmals bei Rüdesheim am Rhein, der sog. Germania, höchst dilettantisch mit einer Handvoll Dynamit in die Luft jagen wollte. Keinem der hohen Herrschaften wurde auch nur ansatzweise ein Haar gekrümmt, nur der schöne Festbraten ging in Rauch auf, aber Rheinsdorf und ein Genosse wurden am 7.2.1885 zu Halle auf dem Schafott enthauptet.
Nicht zu vergessen ist, dass es auch innerhalb der historischen SPD einmal einen libertären Flügel gab, die sog. „Opposition der Jungen“, die nach dem Ende der Sozialistengesetze auf dem Erfurter Parteitag von 1891 ausgeschlossen wurden oder freiwillig die Partei verliessen. Teile dieser Gruppierung positionierten sich antiparlamentarisch und beriefen sich auf anarchistische Theoretiker wie Bakunin und Kropotkin. Sie setzten ihre politische Tätigkeit im Verein Unabhängiger Sozialisten fort und entwickelten sich hin zum Anarchismus.
Der wohl bekannteste ehemalige Sozialdemokrat (SDAP / SAP) neben Rudolf Rocker war der wegen seiner rethorischen Fähigkeiten ungemein beliebte Reichstagsabgeordnete Johann Most, der 1878 im Zuge der Verfolgungen durch das Sozialistengesetz ins Exil nach England und dann nach einer Gefängnisstrafe 1892 in die USA gehen musste. Seine in England gegründete Zeitung FREIHEIT (1879) produzierte er weiter und ließ sie ins Reichsgebiet schmuggeln. Wegen seiner Radikalisierung hin zum Anarchismus wurde Most schon 1880 aus der SAP ausgeschlossen. Rudolf Rocker hat ein Buch über ihn geschrieben: „Der geborene Rebell“.
In der Mexikanischen Revolution von 1910 spielte unter den Brüdern Magón tatsächlich eine anarchistische Bürgerkriegspartei mit dem Namen „Partido Liberal de Mexico“ (Liberale Partei Mexikos – gegründet 1906 in den USA) eine tragende Rolle. Übrigens wird der spanische Liberalismus von Historikern als Vorläufer des Anarchismus angesehen. Die Magónistas wählten mit Bedacht den Namen einer Partei, um nicht a priori auf die Vorurteile gegenüber Anarchisten reduziert zu werden. Sie kooperierten mit Emiliano Zapata und besetzten 1911 mit einer international zusammengewürfelten Truppe zeitweilig die Kalifornische Halbinsel, die Baja California, um von dort für die Befreiung zu agieren. Kleinere Einheiten gab es im ganzen Land. Ricardo Flores-Magón ist heute ein Nationalheld, es gibt Denkmäler und Schulen, Straßen und Plätze die nach ihm benannt sind. Häufig finden sich Murales (Wandbilder) mit seinem Konterfei und seinen Zitaten. Sein Leben hat er in Gefangenschaft beenden müssen: im US-Knast Leavenworth wurde er am 22.11.1922 ermordet. Die noch heute verwendete Parole „Tierra y Libertad! – Land und Freiheit!“ machte er populär.
Bemerkenswert ist, dass auch nach über 100 Jahren die Ideen der Magónistas in indigenen Gemeinden sehr lebendig sind. Im Bundesstaat Oaxaca gibt es einen Zusammenschluss von Dörfern, die sich auf den Magónismo berufen.
Auch in China gab es 1912 eine von Anarchisten gegründete Sozialistische Partei Chinas, die einigen Einfluss erlangte. Die Partei spaltete sich und der anarchistische Flügel wurde zuerst verboten. Der chinesische Anarchismus war weitgehend ein Importprodukt aus Frankreich und Japan. Besonders Peter Kropotkins Schriften wurden im Fernen Osten wie überhaupt weltweit breit rezipiert. In China konnte sich der Anarchismus zu einer einflussreichen Kultur und Arbeiter*innenbewegung ausweiten. Selbst Mao soll einmal einer anarchistischen Gruppe angehört haben. Chinas bekanntester sozialemanzipatorischer Schriftsteller Ba Jin (Li Feigan) war Anarchist, das Pseudonym gebildet aus „Ba“kunin und Kropot„Jin“. In der Nach-Mao-Ära wurde er Vorsitzender des Chinesischen Schriftstellerverbandes und starb hochbetagt als Hundertjähriger. Bei Suhrkamp erschienen Bücher von ihm.
Auch in Japan gab es eine von Anarchisten gegründete Partei. Am 30.1.1934 wurde, drittens, die streng geheim gehaltene „Anarchistisch Kommunistische Partei Japans“ (nihon museifu ky ??? ) gegründet, die nie mehr als ein Dutzend handverlesener Mitglieder hatte.“ (anarchismus.at) Sie wurde 1935/36 zerschlagen und mehr als 400 Anarchist*inn*en wurden in der Repressionswelle verhaftet. Nach der Verhaftung von 300 weiteren Anarchist*inn*en 1936 brach eine anti-anarchistsiche Hysterie aus, die auf Jahre, verschärft durch den Krieg, jegliche libertäre Arbeit unmöglich machte.
Ohne darauf jetzt näher eingehen zu können, sei hier angeführt, dass auch in Süd- und Mittelamerika um 1900 eine starke anarchistische Bewegung existierte, die sich teils in Parteinähe oder Parteigründung bewegte. Mit Ausbruch der Russischen Revolution traten ja viele radikale Linke sich gründenden bolschewistisch-kommunistischen Parteien als Hoffnungsträgern einer erfolgreichen Revolution bei, was die anarchistische Bewegung sehr schwächte. Kuba, Nicaragua, El Salvador, Uruguay, Chile und Argentinien waren Länder in denen sich zeitweise ein starker anarchistischer Einfluss zeigte – auch darauf führen sich die schwarzroten Fahnen dortiger Emanzipationsbewegungen zurück. In neuerer Zeit gab es einen starken Einfluss auf die Tupamaro- Bewegung in Uruguay, von denen es übrigens in West-Berlin einen selbsternannten Ableger gab, zu dem der APO-Aktivist Dieter Kunzelmann gehörte. Eines der prominenten Mitglieder der Tupamaros Urugay, José Mujica, wurde jüngst Präsident des Landes (2010-2015), nachdem sich die MLN-Tupamaros nach ihrer Zeit im Untergrund als legale Partei konstituiert hatten. Sein Präsidentengehalt stiftete „El Pepe“ bis auf 10% kleinen Unternehmen und NGOs. Der Name Tupamaros kommt übrigens von Tupac Amaru, einem legendären indigenen Aufstandsführer gegen die Kolonialherren.
Die wohl spektakulärste anarchistische Parteigründung trug sich einst zu Prag zu, angestiftet von einem uns allen bekannten Trunken- und Witzbold, der ein weltbekanntes Buch gegen den Krieg geschrieben hat, das Buch vom Braven Soldaten Schwejk (1911-12, 1917, 1921-23), mehrfach verfilmt und geradezu sprichwörtlich. Sein Name war Jaroslav Has(ch)ek. Dass der Anarchist war und tolle Geschichten für die entsprechende Presse schrieb (u.a. im Karin Kramer Verlag erschienen), wissen die wenigsten. Dieser Hasek gründete nämlich 1911 in KuK-Österreich, wozu Tschechien (Böhmen) damals gehörte, mit seinen inspirierten Anarcho-Saufkumpanen und Spaßvögeln gegen die damalige Zensur und Repression die „Partei für gemäßigten Fortschritt im Rahmen der Gesetze“, die auch schon als als „anarchistische Tarnorganisation“ bezeichnet wurde, und machte damit ziemlich Furore. Selbst der als ruhig und gesittet bekannte Franz Kafka ließ sich gemeinsam mit Max Brod begeistern und wurde prompt auf einer Anarchodemo festgenommen.
Hasek und Kumpane führten die wütende Obrigkeit mit ihrer satirischen Partei gnadenlos vor und an der Nase herum und unternahmen lustige Propagandafahrten durch ganz KuK-Österreich.
„Die Partei veranstaltete zahlreiche Rednerabende – Kandidat Hasek hielt dort mehrstündige Wahlreden – mit einer Menge Versprechungen und Reformen, schmähte die anderen Parteien, denunzierte die Gegenkandidaten, alles wie es sich für einen anständigen Bewerber für eine solche Würde gehört“, so der Teilnehmer Frantisek Langer.
Unterhalb eines improvisierten Podiums saßen an einem langen Tisch mit gewichtigen Mienen die Gründer dieser Partei, ihr ZK. Auf dem Podium thronten an einem kleinen Tisch mit noch seriöseren Gesichtern der junge Vorsitzende und ein Polizeikommissar. Neben ihm stand Hasek und hielt seine “Wahlrede“. Der Saal barst vor Lachen. Und der Polizeikommissar, der absolut nicht verstand, was hier eigentlich vor sich ging, sah sich verloren um und wußte nicht, ob er hier einschreiten sollte.“ Das Wahlprogramm des Kandidaten für den sicher nicht zufälligen Wahlbezirk Weinberge, Jaroslav Hasek, umfasste sieben Punkte:
Die Wiedereinführung der Sklaverei.
Verstaatlichung der Hausmeister („auf die gleiche Weise wie in Russland [..], wo
jeder Hausmeister gleichzeitig ein Polizeispitzel ist“).
Die Rehabilitierung der Tiere.
Die Einrichtung von staatlichen Anstalten für schwachsinnige Abgeordnete.
Die Wiedereinführung der Inquisition.
Die Unantastbarkeit der Geistlichen und der Kirche („Falls ein Schulmädchen von
einem Geistlichen defloriert wird.“).
Die obligatorische Einführung des Alkoholismus.
Der Nonsense-Charakter dieser Programmpunkte liegt auf der Hand und diente der schlichten Provokation, vorwiegend von Polizei, Kirche, Kapital und dem vereinigten Spießertum.
Die Partei soll angeblich seit ihrem Verbot 1921 bis heute weiterbestehen. Ein Enkel Haseks trat unlängst als Mitglied auf. Jaroslav Hasek musste sich 1921 wegen gesundheitlicher Probleme von der spassigen Angelegenheit zurückziehen – er hatte zu viel gesoffen und starb schon 1923, ohne seinen legendären Schweijk ganz vollendet zu haben. Vielleicht hatte auch seine Zeit bei der anarchistisch durchsetzten Roten Armee Sibiriens, zu der er im WK I desertiert war, seine Gesundheit so mitgenommen – 1920 kehrte er jedenfalls mit falschen Papieren in die neu gegründete Tschechoslowakei zurück.
Wer fühlt sich bei dem Parteiprogramm der „Partei für gemässigten Fortschritt im Rahmen der Gesetze“ nicht an die hierzulande gegründete „APPD“ erinnert? War es womöglich die Blau[:-)]pause? Die „obligatorische Einführung des Alkoholismus“ muss den deutschen Punx jedenfalls unglaublich sympathisch erschienen sein. Aber dazu später.
Nachkriegszeit
Als 1945 der europäische Faschismus endlich unter der Wucht der Alliierten Armeen zusammenbrach, gab es weitverbreitet eine große Hoffnung, nun eine sozialistische Gesellschaft aufbauen zu können. Zur großen Enttäuschung aller Antifaschisten wurde der letzte faschistische Staat Europas, Spanien, nicht von den Alliierten liquidiert, sondern im Zuge des aufkommenden Kalten Krieges mit der SU sogar gestärkt und zum Verbündeten gemacht. Bis Mitte der 1970er Jahre Franco friedlich im Bett starb, wurde das Terrorregime aufrecht erhalten und das blutige Spanien Massentourismusziel für Millionen.
Im Nachkriegsdeutschland gab es noch 1949 keine große Partei, die sich dem Ruf nach einer sozialistischen Demokratie verschließen konnte, mensch lese das Ahlener Programm der CDU. Aber die westlichen Alliierten, allen voran die USA wollten keinen Sozialismus in Deutschland. So be- und verhinderten sie jede Regung in diese Richtung. Auch der konservative französische Präsident General de Gaulle wollte keine linken Nachbarn, schon gar keine deutschen. Der bekannte Anarchosyndikalist Rudolf Rocker hatte das „Dritte Reich“ in den USA überlebt und versuchte nun als alter Mann die alten Freunde und Reste der anarchosyndikalistischen Bewegung im zerbombten Deutschland zu unterstützten.
Zusammen mit gestandenen anderen anarchistischen Aktivisten aus dem Spanischen Bürgerkrieg warb er für eine neue, den Verhältnissen angepasste Politik. Eine bewaffnete Revolution hielt er unter den gegebenen Verhältnissen für weder möglich noch wünschenswert. In der Broschüre „Neue sozialistische Wege“ schlug er vor, sich auf lokaler Ebene politisch und parteipolitisch zu betätigen um die junge Demokratie freiheitlich zu stärken. Die Nichtzulassung einer wiederzugründenden anarchosyndikalistischen Gewerkschaft durch die Alliierten Besatzungsbehörden liess auch kaum eine andere Möglichkeit. Dennoch wird Rocker heute von vielen Anarchisten als Revisionist oder gar Verräter angesehen – ein Mann, der sein ganzes Leben dem Anarchismus gewidmet, erfolgreiche Aufbauarbeit geleistet und erfolgreiche Kämpfe geführt hatte.
Einige Anarchosyndikalisten haben den von ihm vorgeschlagenen Weg beschritten, ob nun aus eigener Erwägung oder motiviert von ihm sei dahingestellt. Dafür einige Beispiele:
Simon von Radetzky, einst führender Mann in der anarchosyndikalistischen „Gilde Freiheitlicher Bücherfreunde“ etwa der „Büchergilde Gutenberg“ vergleichbar, wurde im berliner Stadtteil Wedding Stadtrat für Bildung, ausgerechnet in der CDU.
Der Dülkener Anarchosyndikalist und Widerstandskämpfer Hermann Dortrans, wurde nach Überleben des Strafbataillons 999 zum ersten Bürgermeister Dülkens und war später für die SPD Bundestagsabgeordneter und ein enger Freund des Bundespräsidenten Gustav Heinemann.
Prof. Walter G. Oschilewsky, SPD, ein guter Freund Willy Brandts, war sein Leben lang stolz, der anarchistischen Jugend angehört zu haben und stellte unter anderem heraus, dass die „Freie Volksbühne Berlin“ im wesentlichen von Anarchisten wie Gustav Landauer und Bruno Wille gegründet worden ist.
Im Osten Deutschlands traten Anarchosyndikalisten in die SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlins) zu einer Zeit ein, als sie noch hofften, dort das bessere Deutschland mitbegründen zu können. Einer von ihnen war das Mitglied der DAS, der Anführer der „Centuria Erich Mühsam“ innerhalb der Colonna Durruti im Spanischen Bürgerkrieg, Michaelis. Ein anderer Überlebender und Deserteur war Kurt Wafner, ehemaliges Mitglied der anarchosyndikalistischen Jugend (Autobiografie: „Ausgeschert aus Reih und Glied“, AV Verlag). Er versuchte in der DDR auf publizistischem Gebiet emanzipativ zu arbeiten und war zeitweise auch SED-Mitglied. Nach der sog. Wende 1989 kam er umgehend in den A-Laden Berlin und versuchte sofort in der Noch-DDR die FAUD wiederzugründen. Ich half ihm technisch beim von ihm erstellten entsprechenden Flugblatt.
Meist gingen die Ostgenossen, soweit sie nicht in den Gefängnissen desStalinismus landeten und dort teils umkamen, in die innere Emigration und soweit sie Mitglieder der SEW waren, strebten sie keine höheren Posten an oder traten aus, bzw. wurden ausgeschlossen.
Soweit der kleine Exkurs in die deutsche Nachkriegszeit.
Parteien können, zumindesten im heutigen Östereich, auch dazu dienen, es sich mit den Gesetzen etwas leichter zu machen. Es ist dort deutlich einfacher eine Partei zu gründen, als einen eingetragenen Verein. So gründete sich in Wien die „Partei Revolutionsbräuhof“, die zum Ziel hatte, eine große anarchistische Kneipe zu errichten, mit Kulturzentrum, A-Bibliothek und allem Pi-pa-po. An Wahlen wollte sie sich nie beteiligen. Auch dieses Programm ist äusserst lesenswert – ich veröffentlichte es einst mit großem Vergnügen im Schwarzroten KALENDA 1990: Schwarzroter KALENDA März-April 1990
1. Satzung und Anmeldung der „Partei Revolutionsbräuhof“ Wien
(Faksimile)
Auszug Satzung PR Wien:
— 1.) Zielsetzungen
Die Partei Revolutionsbräuhof beabsichtigt die Teilnahme an der politischen Willensbildung in Österreich. Die Partei Revolutionsbräuhof nimmt sich vor allem dem Interesse der
– Entrechteten
– Geschlagenen
– Gedemütigten
– Verwaisten
– Verwitweten
– Gestorbenen
– Gefolterten
– Gehemmten
– Verfolgten
– Vertrottelten
– Versoffenen
– Entmündigten
– Ausgegrenzten
– Benachteiligten
– Gefährdeten
– Vergifteten
– revolutionären Kräften an.
—- 2.) […]
—- 3.) Organe:
Höchstes Organ der Partei Revolutionsbräuhof ist das „revolutionäre Volkstribunal“ an dem jedes aktive und kämpferische Mitglied teilnehmen kann und zudem es eingeladen werden muss.Das „revolutionäre Volkstribunal“ wählt einstimmig das „Exekutivkomitee der Pan Taus“. Dessen Mitglieder/Pan Taus sind vertretungsbefugt nach aussen und tragen gleichberechtigt und einzeln eigenverantwortlich die laufenden Entscheidungen.Das „Exektivkomitee der Pan Taus“ ist für die Erfüllung der Beschlüsse des „revolutionären Volkstribunals“ und die Einberufung des „revolutionären Volkstribunals“ auf Verlangen von mindestens drei Mitgliedern verantwortlich.
4.) […] Die Midgliedschaft endet mit dem Austritt oder dem Ende staatlicher
Herrschaftssysteme.
5.) […]
6.) […] Das Symbol der Partei ist ein fünfzackiger Stern (Pentagramm) mit eingeschriebener linker Faust. Im Bereich des Handgelenks ist ein Pantau mit Schirm und Melone eingezeichnet. https://de.wikipedia.org/wiki/Pan_Tau
Moderner Anarchismus
Als eine Schlüsselbewegung des modernen Anarchismus kann der Anarcho-Punk betrachtet werden. Aus ihm erwuchs ab 1981 eine sich als anarchistisch deklarierende Spaßpartei namens „APPD“, die mit allerlei haarsträubenden Slogans viel Aufmerksamkeit auf sich zog und als eine aktive Nichtwählerpartei gelten muss. Dem feinsinnigen „Das Recht auf Faulheit“ des Marx-Schwiegersohns Paul Lafargue setzte sie ein klares und krasses „Arbeit ist scheisse!“ entgegen. Sie trat und tritt seit 1997 mehrfach zu Wahlen mit bis zu 10,3% Stimmenerfolg (Elmshorn, Bürgermeisterwahl) an. Auch wenn es einige Skandale gab und im Moment ein wenig die Luft raus scheint, ist die APPD, die mehrfach gespaltene „Anarchistische Pogo Partei Deutschlands“ weiter präsent, die sich als „Partei der Nichtwähler und Politikgeschädigten“ bezeichnet. Das offizielle, dezentrale Presseorgan der Partei ist die Zeitschrift „Armes Deutschland“-Die Parteimitglieder werden im Parteistatut und in der Anrede als „Kamernossen“ bezeichnet. Die Bezeichnung „Kamernosse“ ist eine Wortschöpfung aus Kamerad und Genosse. Die offiziellen Begrüssungs- und Verabschiedungsformeln sind „Fick Heil“ oder „Pogo Heil“. (wikipedia)
Im Programm der APPD von 1984 finden sich so schöne Forderungen wie „Deutschland in den Grenzen von 1237“ und ähnliche Formulierungen, die damit die Nazi- und Nationalrevisionistenszene verhohnepiepeln, ebenso wie mit dem Parteigruß und der in der Parteiwerbung angewandten Frakturschrift. Das ist natürlich zweischneidig und hat APPD-Mitgliedern schon mehrfach versehentlich Anzeigen wegen Verwendens rechtsradikaler Symbole und Parolen eingetragen. Eine Abspaltung, die POP ging in der DIE PARTEI auf.
Anarchistisch oder nicht, auch Berlin hat seine @lternative Parteienlandschaft in der KPD/RZ (Kreuzberger Patriotische Demokraten / Realistisches Zentrum), der Partei der Extremen Mitte mit „Großer Diktator“-Logo in der Traditon der „Spaßguerilla“. Die KPD/RZ fordert die „radikale Demokratie“. Einige ihrer Partei-Ziele sind:
Ausgehverbot für Männer bei Außentemperaturen über 30 °C
Nachtflugverbot für Pollen
Förderung der Kreuzberger Zeppelinindustrie
Rauchverbot in Einbahnstraßen
Flottere Melodien für Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr
Kreuzberg braucht einen ganzjährig eisfreien Tiefseehafen
Halbierung der Schwerkraft bis zum Jahr 2010
Ökologische Kriegsführung durch bleifreie Betankung von Panzern
Rotationsprinzip für Straßennamen
Abtragung des Kreuzberges und Wiederaufschüttung an repräsentativer Stelle
Bei der Abgeordnetenhaus-Wahl 1999 errang die KPD/RZ in Kreuzberg mit 1.950
Stimmen (4,2 Prozent) ein Mandat in der Kreuzberger BVV, welches im Rotationsprinzip ausgefüllt wurde. Seit der Bundestagswahl 2005 tritt die KPD/RZ nicht mehr bei Wahlen an, sondern berät ideologisch im Hintergrund unter anderem Die PARTEI in deren politischem Auftreten.
basisdemokratische Initiative“ wurde 2004 vom Satiremagazin „Titanic“ als parodistische Partei gegründet. Diese Partei, die an Wahlen teilnimmt, ist aber deutlich weniger lustig als alle Spaßparteien seit Jaroslav Hasek und daher halte ich mich hier nicht lange damit auf. Anarch@ is die sowieso nur bedingt, wenn überhaupt.
Besonderes Highlight dieses Berliner Parteienklüngels waren die Schlachten um die Oberbaumbrücke, die mit Wasser, matschigem Gemüse und weiterem glibbrigen Zeug ausgetragen wurden. Auch die kunstaktivistische Bergpartei war darin verwickelt, auf die hier in diesem Blog gesondert eingegangen wird. Spaß oder nicht – diese Parteien treten auch zu Wahlen an und machen Wahlkampf von unten.
Eine weniger bekannte Spaßpartei war die 1994 als „Nichtwählerpartei“ antretende fNEP “Liste für Nichtwähler, Erstwähler und Protestwähler“ in der Opelstadt Rüsselsheim, die nach einigen Spaßaktionen ausgerechnet mit der CDU koalierend die jahrzehntelang selbstherrlich und seilschaftlich regierende SPD aus dem Amt kickte. Dafür setzte sie bei den Konservativen die Erhaltung eines Bauwagenplatzes durch. Bei der fNEP waren Gewährsleuten zufolge Anarchisten aktiv, die sich später aus dem Parteichen zurückzogen, als das anfing die Politik ernstzunehmen.
Das führt uns zu der Frage, ob es sich nicht doch lohnt, sich in der Kommunalpolitik parteipolitisch einzumischen. Auch als Spaßpartei kann gelegentlich offenbar etwas erreicht werden.
Ein deutlich weniger lustiger Fall ist die „FAU / HD“ bzw. „FAU / AP“, einst mit Hauptsitz in Heidelberg. Die mit der “echten“ Freien Arbeiter Union verwechslungsträchtige „Anarchistische Partei (AP)“ tat sich über Jahrzehnte mit höchst dubiosen Aktivitäten hervor. Sie gab die FAUST heraus, ein Studentenblatt, Anleitungen zum Gebrauch von Schusswaffen, lobpries Stalin und demonstrierte nach dem Mauerfall auf dem Alex mehrfach für die Wiedererrichtung der DDR. Ärgerliche Verwechslungen mit der echten FAU waren an der Tagesordnung.
Ihr Spitzenmann Achim F. kandidierte vor Jahrzehnten ebenso wie später sein Strohmann Oliver Be\u223\’3fler 1998, Leiter der Ronin Ryu-Bujutsu
[Multi-]Kampfkunst-Lehrer!!! ???) in Heidelberg als Bürgermeisterkandidat. Vor etwa zwei Jahren, also 2014, stellte sich anhand von aufgefundenen DDR-Dokumenten gerichtsnotorisch heraus, dass dieser Spitzenmann der FAU / HD ein Stasi-Spitzel war, der zur Infiltration und Zersetzung der linken Szene in Westdeutschland eingesetzt worden war. Er wurde dem Vernehmen nach wegen Agententätigkeit veruteilt. Ich hatte damals auf der Suche nach anarchistischen Adressen kurzzeitig mit diesem Mann korrespondiert, FAU-HD Material erhalten und in der Folge im Schwarzroten KALENDA vor diesem dubiosen Verein schärfstens gewarnt.
Zu kommunalen libertären Aktivitäten hat der US-Anarchist Murray Bookchin einige Gedanken entwickelt, die zu einer großangelegten Kontroverse in der anarchistischen Bewegung führten. Bookchin wurde so lange aus der Szene gemobbt, bis er entnervt kurz vor seinem Tode den Anarchisten mehr oder weniger den Rücken zuwandte. Dennoch lebt sein Libertärer Kommunalismus weiter, den u.a. seine Lebensgefährtin Janet Biehl weiterhin vertritt.
Murray war inspiriert von den freien selbstverwalteten Gemeinden im sogenannten „Wilden Westen“, der nach seinen Recherchen viel weniger wild war, als das Klischee. Im Gegenteil herrschte über lange Phasen Friede und ein gewisser selbstorganisierter Wohlstand, den mensch natürlich nicht vom Hintergrund der Vertreibung und Ermordung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas abtrennen darf.
Aber auch mit Indianerstämmen gab es über lange Zeiträume friedliche Koexistenzen und auch Freundschaften. Verderblich waren die immer wieder im kapitalistischen Interesse gebrochenen Verträge Washingtons, deren letzter Exzess der „Oklahoma Run“ von 1889 war („Indian Appropriations Act“ also noch gar nicht so lange her!!!), die gewaltsame Landnahme tausender Siedler von vertraglich gesichertem Indianerland (Westhälfte O.’s). Oklahoma, das ist der US-Bundesstaat mit dem Indianersymbolen in der Flagge, ein Staat in den die meisten Stämme des Ostens deportiert wurden (siehe Marsch der Tränen / Trail of Tears der Cheerokees und weiterer vier Stämme, sog. „zivilisierte Stämme“) und diesen vorbehalten bleiben sollte. Der Staat wurde so lange nicht in den Bund aufgenommen, wie dort die Indianer selbst und höchst erfolgreich das Sagen hatten (bis 1906). (Weißes) Staatsmotto von 1907 LABOR OMNIA VINCIT – Die Arbeit siegt über alles!
Die indigene Bevölkerung macht heute nur noch 8,9% von knapp 4 Mio. aus, gegenüber 72 % Weißen (2010).
https://de.wikipedia.org/wiki/Oklahoma_Land_Run
Im kurdisch befreiten Gebiet von Rojava, Syrien, wird versucht, anhand von Bookchins Vorschlägen, die unwahrscheinlicher Weise bei dem Chef der PKK Ötschalan / genannt APO, Gehör fanden, eine radikaldemokratische Region aufzubauen. Ob dies unter den Bedingungen zwischen den Kriegsparteien und Machtblöcken gelingen wird, kann nur als äusserst fraglich bezeichnet werden.
Noch mehr internationale Beispiele
Im letzten Jahr, 2015, war der anarchistische Verleger von „Black Rose Books“ in Montreal (seit 1970), Kanada, Dimitri Roussopoulos auf Europatournée um sein Konzept des libertären Kommunalismus und Social Ecology vorzustellen. Er war auch in Berlin, aber leider waren wir wegen fehlender Ressourcen nicht in der Lage eine Veranstaltung mit ihm zu organisieren. Dimitri, Jahrgang 1936, begann seine politischen Aktivitäten 1959 als Antikriegs-Aktivist gegen die atomare Bewaffnung Canadas. Im Jahr 1989 hat Dimitri die erste kommunale Grüne Partei in Nord Amerika gegründet, was ihm seitens seiner anarchistischen Genoss*inn*en scharfe Kritik einbrachte. 1995- 1996 gründete er das Montreal Urban Ecology Center [MUEC] und 2002 erfolgte auf seine Aktivitäten hin eine Dezentralisation der Macht auf die Stadtteile, die vorher nach französischem Vorbild zentralistisch verwaltet wurden. Es folgten weitere Basisaktivitäten, wie die Herausgabe der kostenlosen Zeitschrift „Place Publique“ mit 35.000 Auflage (1992-2006). Seit 2001 ist Dimitri Roussopoulos Kopf der „Taskforce on Municipal Democracy of the City of Montreal“. Er schlug die „Montreal Charter of Citizen Rights and Responsibilities“ vor und half sie umzusetzen, die erste right-to-the-city Charta (Recht-auf-Stadt Charta) in Nord Amerika die von der UNESCO als eine wichtige Innovation in Sachen Demokratie gewürdigt wurde. Durch diese Charta steht den Bürger*inne*n von Montreal offen, eigene Vorstellungen in die Politik einzubringen, die öffentlich behandelt werden müssen. Dimitri setzt sich für eine ausserparlamentarische Opposition ein, die er für absolut nötig hält, um von Grund auf Basisdemokratie im Sinne der Social Ecology Bookchins zu etablieren.
Februar 2012, gründete er in Athen das „Transnational Institute of Social Ecology“, ein Netzwerk von Intellektuellen und Aktivisten, die in verschiedenen Städten Europas arbeiten. In diesem Jahr 2016 fand das World Social Forum (Welt Sozial Forum) in Montreal statt und Dimitri mit seinen 80 Jahren ganz vorne dabei. Wer Englisch kann: eine Vielzahl von Vorträgen und Veranstaltungen mit Dimitri ist auf you.tube zu finden.
In den USA machten die Yippies (Youth International Party) während der 1968er-Revolte durch Performances von sich hören. Ihr nachhallender Einfluß ist ähnlich dem der Haschrebellen in Deutschland. Ihr Präsidentschafts-Kandidat war das Schwein „Pigasus“.
Erwähnenswert sind auch die KanadischeParti Rhinocéros (1963 – 1993), welche mit allerlei Schabernack den Glauben an das Parteiensystem nachhaltig erschütterte und auch die kommunistische Partei nicht verschonte.
Es bestanden viel Überschneidungen mit der Anarchist Party of Canada. Ihr Wahlversprechen „Wähle mit der Torte“ machte sie in zahlreichen öffentlichen Tortungen wahr: Sie trafen einmal den Bruder des damaligen US-Präsident Jimmy Carter, Billy Carter mit einer Torte und regionale Polit-Größen regelmäßig.
Ein besonderer Fall aus jüngster Zeit stammt aus Island, einem kleinen, an
Dänemark angelehnten Staat auf einer unwirtlichen Großinsel im Norden Europas.
Die ganze Bevölkerung besteht aus rund 320.000 Menschen, die sich vorwiegend vom Fischfang, Tourismus und Finanzgeschäften zu ernähren pflegten. Bis der große Crash kam und das Wohlstandsgebilde, ähnlich dem griechischen Staat, in sich zusammenbrach, weil sich Islands Banker total verzockt hatten. Plötzlich war das Leben der oberen 10.000 in Saus und Braus zu Ende und sie rissen den Mittelstand mit in ihrem Sturz in den Abgrund. Und für die vielen Nichtbesitzenden wurde es ganz grausam.
In dieser Situation, in der die bürgerlichen Parteien völlig versagten und
keinerlei Unterstützung aus der Bevökerung mehr zu erwarten hatten, taten sich ein paar Anarcho-Punx (Selbstbezeichnung „Anarcho-Surrealisten“) zusammen und gründeten die Spaßpartei „Besti flokkurinn“ (Die beste Partei), mit dem
isländischen Punk, Komiker und Kabarettisten Jon Gnarr als Frontmann, der vorher in TV-Sketchen einen schleimigen Politiker gespielt hatte – er hatte sozusagen Übung. Ihr Slogan „Mehr Punk, weniger Hölle!“ und „Warum die zweitbeste wählen, wenn Sie die beste haben können?“ Vor allem sollte es Spaß machen:
„Bis jetzt haben die Politiker ungefragt in unser Leben hineingefunkt. Warum
sollten wir nicht das Umgekehrte tun?“
Zunächst blödelten sie bloß herum und zogen die öfffentlichen Versager nach
Strich und Faden durch den Kakao. Gnarr versprach offen, korrupt zu sein,
Gratishandtücher in den Schwimmbädern. Einen Eisbären im Zoo. Den Import von Juden, „damit endlich jemand, der etwas von Wirtschaft versteht, nach Island kommt“. Ein drogenfreies Parlament bis 2020.
Tatenlosigkeit: „Wir haben ein Leben hart gearbeitet und wollen uns nun vier
Jahre gut bezahlt erholen.“ Ein Disneyland mit wöchentlichem Gratiseintritt für Arbeitslose, „wo sie sich mit Goofy fotografieren dürfen“. Mehr Nähe zur Landbevölkerung: „Jeder isländische Bauer soll gratis ein Schaf
ins Hotel nehmen dürfen.“ Gratis-Bustickets. (Mit dem Zusatz: „Wir können mehr versprechen als alle anderen Parteien, weil wir jedes Wahlversprechen brechen werden.“) Aber dann kam der für alle überraschende Punkt, als das Parteichen rasant in den Umfragewerten zulegte und schließlich alle anderen Parteien überflügelte. Unsere Punx waren zunächst etwas ratlos und ihr Frontmann Jon Gnarr verkündete den düpierten Altparteien auf einer Abschlussdiskussion, dass er den Spaß an der Sache verloren habe und von seiner Bewerbung zurücktrete. Sekundenlange Totenstille. Dann sagte unser Frontmann in diese Betroffenheit hinein:
“Jooooooke, war alles nur ein Scherz.“
Wahlkampfmanagerin Heida Helgadottir später: “Politik ist von alten Männern
dominiert, die rituell Giftpralinen austauschen. Wir dagegen setzten auf Lebenserfahrung, Aufrichtigkeit, Humor. Und wir hatten den perfekten Kandidaten.
Jon ist Stand-up-Comedian: gut im Timing und gut im Lesen des Raums. Er beherrschte, worum es bei guter Politik geht: die Wahrnehmung der Umgebung.“
Die Beste Partei trat an und gewann 34,7 %, niemand konnte ohne sie oder gegen
sie regieren. Gnarr: „Es war ein Wahlkampf, ganz wie der Satz von Mahatma Ghandi: Erst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie
dich, und dann gewinnst du.“
Gnarr, nun plötzlich Chef von 8.000 Beamten zum Wahlsieg:
“Welcome to the revolution!“
Und: “Hurra für alle möglichen Dinge!“
Was nun tun? Nach einigem Zögern nahmen die Punx die Herausforderung an,
koalierten mit den weit abgeschlagenen Sozialdemokraten und übernahmen die
Regierung. Island hatte nun tatsächlich eine Anarcho-Regierung. Aber die Misere
war fast ebenso schlimm wie im Spanischen Bürgerkrieg, nur ohne Krieg. Island
war mehr als pleite, die öffentlichen Angelegenheiten lagen brach, viele Menschen lebten in existenzieller Not und die Regierung hatte kaum Bewegungsspielraum. Doch die parlemtarischen Nichtprofis ließen sich nicht entmutigen und ergriffen Zug um Zug äusserst vernünftige Maßnahmen, die ihnen niemand zugetraut hätte.
„Im politischen Nahkampf benutzte die Beste Partei ein Konzept aus dem Tao Te
King, das „Wu Wei“: Nie zurückschlagen, sondern die Attacke ins Leere laufen
lassen. Aber die Wertschätzung für den Gegner ausdrücken.“ (tagesanzeiger, Zürich)
„Die Sozialdemokraten bringen die Erfahrung mit, die Künstler den frischen Blick und den Humor. So ließen sie zeitweise Smileys auf Ampeln kleben und führten den „Guten Tag-Tag für ein freundlicheres Reykjavik“ ein. Zur „Gay Pride Parade“ erscheint der Bürgermeister stets als Drag Queen, bei der letzten Parlamentswahl trat er in einem Star Wars-Outfit an die Wahlurne.“
(DiePresse.com)
Nahezu geräschlos stabilisierten sie zusammen mit den Sozis die Insel und traten
nach einigen Jahren nach vollbrachter Tat ab. Jón Gnarr, der ehemalige Bürgermeister von Reykjavik, schrieb ein autobiografisches Buch: “Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!“ (Klett Cotta 2015).
Einige wollten mit der Schwesterpartei „Leuchtende Zukunft“ weitermachen, weil sie Spaß am politischen Gestalten gefunden hatten und Profis geworden waren und führten sozusagen die Beste Partei weiter.
Mensch könnte durchaus sagen, dass es sich hier auch um ein kommunales Gestalten gehandelt hat, da doch der zu verwaltende Staat ein sehr überschaubarer war und nicht einmal eine halbe Million Menschen beinhaltete. Ein Stadtstaat sozusagen.
Die Menschen Islands werden sich sicher noch lange an diese Anarchozeit erinnern und vielleicht werden die Punk-Skalden kommender Tage einmal davon singen.
Allerdings stellt sich für uns als Anarchist*inn*en die Frage, ob ein solches Vorgehen jenseits von Revolution sinnvoll ist. Haben die isländischen Anarch@s nicht letztendlich dem Kapitalismus wieder aus der Talsohle geholfen? Oder wieviel nachhaltige Anarchie ist in Island im Alltag übrig geblieben? Die Bilanz von vier Jahren Anarchisten an der Macht ist ziemlich unerwartet: Die Punks haben die Finanzen saniert. Dazu kommen einige sehr gelungene Reden, ein paar Dutzend Kilometer Veloweg, ein Zonenplan, eine neue Schulorganisation (über die sich heute niemand mehr beklagt), die Förderung von kleiner Kunst und eine entspannte, boomende Stadt: Der Tourismus wächst jährlich um 20 Prozent. (Und manche sagen, das ist die neue Blase.)
„Meine Frage war immer: Wie ficken wir das System?“, kommentierte Einar. „Und die Antwort war: Wir zeigen, dass Nicht-Politiker den Job auch machen können. Aber aufzuhören, mit dem sicheren Wahlsieg vor Augen: Das ist wirklich das System gefickt!“ (tagesanzeiger, Zürich, 5.2014).
NACHTRAG: Mit dem Leaking der sog. „Panama-Papers“ um Offshorefirmen hat sichausgerechnet das vor Jahren finanziell gecrashte Island im April 2016 wieder
kurzzeitig an die Spitze der Schlagzeilen gesetzt. Sein Ministerpräsident musste zurücktreten, weil er bzw. seine Frau eine der millionenschweren Briefkastenfirmen in Panama besitzt. Gleich drei Minister aus seiner Entourage sind ebenfalls in Offshore-Geschäfte verwickelt. Die isländische Piraten-Partei, eine Nachfolgepartei der AnarchoPunx schnellte darauf nach Massenprotesten vor dem Parlament von 5 auf 40% in den Umfragen. Wir dürfen gespannte sein, ob es auf Island zu einer libertären Renaissance kommt und wieder Anarchist*innen regieren werden.
In Japan, das sich auch heute rasant militarisiert, mischt die Bewegung „Aufstand der Amateure“ (Shiroto No Ran) aus dem Tokyoer Stadtteil Koenji die Politische Szene auf. Ihr Widerstand gegen ein Gesetz, das die Verschrottung alter Technik vorschreiben sollte war erfolgreich. Ihre Demonstration gegen Fukushima war und ist mit 15000 Teilnehmenden die größte Demo Japans in diesem Jahrtausend. Der Gründer Hajime Matsomoto erklärt in dem Film „Radioactivists“: „Viele von uns sind der Meinung, dass wir nicht nur die vom Tsunami zerstörten Gebiete wieder aufbauen sollten, sondern ganz Japan, von Grund auf. Ich möchte, dass wir zuerst den ganzen Dreck loswerden.“
Aber nicht nur Punx im Ausland reüssieren in der Politik. Kürzlich gab es eine Bürgermeisterwahl in Bochum, aus der der Anarchist und Punksänger Wolfgang Wendland (ehemals APPD-Kanzlerkandidat) mit einem ziemlichen Achtungserfolg hervorging:
„Bei der Oberbürgermeisterwahl am 13. September 2015 kam Wendland hinter den Kandidatinnen und Kandidaten von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit 7,91 Prozent (8.803 Stimmen) auf den vierten Platz von 12 Bewerbern.“ (wikipedia)
Es bringt also neben der sonst verschlossenen Öffentlichkeit anscheinend durchaus etwas, sich kommunal zu engagieren, so wie Rudolf Rocker es vorschlug, der übrigens von den griechischen Polis (Stadt, Gemeinde) und ihren Leistungen zu Recht fasziniert war, nachzulesen in seinem Hauptwerk „Nationalismus und Kultur“.
Ein alter Freund und Genosse aus meinen Münchener Zeiten, auch ein Rudi, den inzwischen allzufrüh die Erde deckt, hat sich in seiner kleinen bayerischen Ortschaft bei den Grünen engagiert, vor 20 Jahren in Bayern noch ein Abenteuer. Er erklärte mir das so, dass er mit seiner Familie dort sonst keine politischen Berührungspunkte habe und bei den Grünen die einzige Möglichkeit sah, zusammen mit Anderen etwas in Bewegung zu bringen.
Die Grünen waren überhaupt in ihrer Anfangszeit als Bürgerinitiativen-Partei von Anarchist*inn*en durchsetzt, die das Dogma der Nichtparteienbeteiligung in den Wind schlugen, weil sie für eine Weile nicht unberechtigte Hoffnungen in die Protestpartei setzten. Die meisten A-Genoss*inn*en standen den GRÜNEN jedoch von Anfang an skeptisch gegenüber und blieben ihnen fern. Im Zuge der Anpassung der GRÜNEN an den herrschenden Politikbetrieb sind nach und nach so gut wie alle Anarch@s und Libertären ausgetreten. Für nicht wenige, auch Nichtanarchist*inn*en war der Balkankrieg der Endpunkt. Ich kenne persönlich einige Genoss*inn*en, die zeitweise Mitglieder der GRÜNEN waren. Ein Beispiel der Nützlichkeit eines solchen Parteienengagements war die AL in Berlin, die die 1981er West-Berliner Instandbesetzer*innen-Bewegung in vieler Hinsicht unterstützt hat, materiell, ideell und auf dem formalpolitischen Parkett. Natürlich sind auch hier die meisten der alten Basisbewegten längst ausgetreten, obwohl die Berliner AL innerhalb der GRÜNEN immer eine Sonderstellung vertreten hatte, so lange sie noch als AL existierte. Im Stadtteil Tiergarten stellte sie sogar zeitweise den Bürgermeister – das ist weniger bekannt als ihre Präsenz in Kreuzberg. Ähnliches liesse sich über die GAL (Grün-Alternative-Liste) in
Hamburg berichten.
Positivbeispiel: In Berlin Tiergarten sollte zu Gunsten der Schließung des „Justizblocks“ um das Moabiter Kriminalgericht eine ganze Häuserzeile Altbauten abgerissen werden. Hiergegen wehrte sich die BI „Wohnen contra Justizfestung“. Durch den Wahlsieg, der zu einer rot-grünen Koalition führte, wurden die Abrißpläne der CDU gestoppt (Wahlversprechen der AL) und die Altbauten blieben erhalten. Leider konnte das Endziel einer Wohngenossenschaft nicht mehr erreicht werden, aber alteingesessene Geschäfte konnten bleiben und Künsterl*innen konnten Ateliers eröffnen. In einem dieser Häuser, dem Eckhaus, waren übrigens einst Juden versteckt, direkt unter der Nase der Nazis.
In die Nachfolgepartei der DDR SED, der PDL „Partei die Linke“, setzen offenbar mittlerweile auch Anarchist*inn*en Hoffnungen. Innerhalb dieser Partei hat sich eine „Libertäre Plattform“ gegründet. Zudem ist zu beobachten, dass zunehmend auch Menschen aus dem libertären Spektrum in dieser Partei Mitglied werden, die offenbar als post-stalinistisch eingeschätzt wird, wiewohl in ihr noch viele stalinismusinfizierte Altmitglieder zu finden sind. Aber auch in der FDP gibt es eine „Libertäre Plattform“, die allerdings mit sozialem Anarchismus nicht das Schwarze unterm Nagel zu tun hat. Sie sind vielmehr Ableger der „Money-Libertarians“ aus den USA, einer marktradikalen neoliberalen Vereinigung, die weltweit agiert und den Staat als Wirtschaftshemmnis ablehnt. Umgangssprachlich werden sie auch als Anarcho- Kapitalisten bezeichnet. „Zentralorgan“, dieser Strömung ist hierzulande „eigentümlich frei“, ein hahnebüchenes Blatt, das natürlich sogar an Donald Trump Geschmack findet. Herausgeber André F. Lichtschlag:
„Eigentum – das ist der Schlüssel zur Freiheit.“ Wieviel darfs denn sein? Auf Grund der Veröffentlichungspraxis dieser Leute muss ihnen in Deutschland eine direkte Nähe zu „Querfront“-Faschos unterstellt werden. Kein Wunder, dass sich mittlerweile auch in der ultrarechtslastigen „AfD“ eine „Libertäre Plattform“ gegründet hat.
Spricht das nun alles dafür A-Parteien zu gründen, statt zum ewigen erfolglosen Wahlboykott aufzurufen, der eher im Boykott der Anarchisten endet als umgekehrt?
Mag sein, dass es hier und da eine gute Idee ist, das politische System von innen aufzumischen. Aber es kann wohl nicht die Generalperspektive sein. Eine Vorbereitung der Bevölkerung auf anarchistischere Zeiten wäre es wohl allemal und hätte lokal und temporär sicher die eine oder andere gute Auswirkung. Auf Dauer, das wissen wir, korrumpiert jedoch die bürgerliche Politik und jede Protestpartei wird erfahrungsgemäß vom System absorbiert und auf mit der Zeit tendenziell reaktionär. Aber anarchistische Parteiinitiativen können offenbar helfen, zeitweilig die Basis zu unterstützen und zukunftszugewandte Strukturen zu unterstützen und zu schaffen. In jedem Fall sind sie ein propagandistischer Akt, der den Anarchismus unter dem Scheffel rausholt und ins Licht stellt. Denn bis heute wissen nur allzu wenige Menschen, dass es die anarchistische Alternative überhaupt gibt.
Schlussanmerkung: Dieser kleine über- und Einblick in die Geschichte und Aktivitäten anarchistischer Parteinahmen ist mit Sicherheit höchst unvollständig und soll nur ein Anreiz zu weiterer Beschäftigung mit diesem Thema sein, das unter Anarchist*inn*en höchst umstritten und teils tabuisiert ist.Es wäre ein ausgezeichnetes Thema für eine Dissertation oder Habilitierung.
Dieses Thema bedarf einer gesonderten Behandlung, handelt es doch nicht im engeren Sinn von politischen Parteien und ihren anarchistischen Ausprägungen. Allerdings gab es unter den Kritiker*innen des Plattformismus Menschen, die den Vorwurf einer „Bolschewisierung des Anarchismus“ erhoben und damit eine Annäherung an eine Kaderpartei befürchteten.
Chronik der Vorläufer*in-Organisation
„ÜberPartei“ Deutschlands
(ÜPD)
2004
Eines schönen Tages eines schönen Sommers
erstes Treffen der Vorläufer*in-Organisation „ÜberParlamentarische Disposition“, ebenfalls ÜPD, als politischer Debattierclub
15.12. – Besetzung der späteren Parteizentrale „Offene Uni BerlinS“ durch Studierende im Zuge der bundesweiten Proteste 2004 gegen Studiengebühren
Wenig darauf: Verlesung des Parteiprogramms im besetzten offenen Kanal (heute „Alex“)
2005
15.07. – Gründung der „ÜberPartei“ Deutschlands im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin mit 14 Teilnehmer*innen nach einem Vortrag der anarchistischen Bibliothek „Warum wir den Staat loswerden sollten“.
Beteiligungsanzeige zur Bundestagswahl nicht fristgerecht („vorgezogene Bundestagswahl“ durch Schröder heißt: nicht genug Zeit für kleine Parteien)
2006
01.05. – 1.Mai-Demo gegen Zahlen, Zeit und Zaster mit 20 Teilnehmer*innen nach Polizeiangaben (angemeldet, ÜPD)
10.08 – Gründung des Landesverbandes Berlin in der Offenen Uni BerlinS
15.09 – Wahlparty mit DJ´s und Live-Acts mit rund 50 Gästen
17.09. -Wahlteilnahme an der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Pankow (inkl. P-Berg und W-See) mit einem relativen Erfolg von absolut 171 Stimmen
2007
04.-08. – Block G8 (ÜPD Teilnahme an den erfolgreichen Blockaden sämtlicher Zugänge zum Tagungszentrum)
04.-08. – G8-TV (ÜPD als eine von 11 internationalen Medienaktivist*innen-Gruppen im Bündnis alternativer Videoaktivist*innen)
20.07. Mahnwache gegen rechte Gewalt in Frohnau
03.08. – Oaxaca-Mahnwache (angemeldet von ÜPD – veranstaltet mit Atenco Resiste Berlin und Gruppe Basta Münster) zur Unterstützung der Proteste in Südmexiko
06.08. bis 01.10. – jd. Mittwoch Mahnwache gegen Mcdonald’s in Kreuzberg (ÜPD)
15.09. – Afghanistandemo in Berlin (ÜPD im bundesweiten Bündnis)
22.09. – Bundesweite Demo gegen Überwachung (Plakat-Mobilisierung und Teilnahme der ÜPD)
13.12. – Kundgebung gegen die Eröffnung des 1.McDonalds in Kreuzberg (angemeldet, ÜPD)
2008
15.2. – Chiapas -Kundgebung für aufständische Indigenas veranstaltet mit Atenco resiste (Berlin) und Gruppe Basta (Münster) angemeldet von ÜPD
1.5. – 1.Mai-Streik (statt Demo: Streikposten im Park – ÜPD)
12.06. – ÜPD ist Teil von G8-media-network, dem alternativen Medien-Aktivisten-Netzwerk zum G8 – Gipfel in Japan
04.07. – G8 Japan Befreiungsdemo für die letzten 3 Inhaftierten nach dem G8-Gipfel in Japan (angemeldet von ÜPD) zusammen mit Gipfelsoli und der Dissent!-Asien-Infotour). Die gefangenen Aktivist*innen kamen am nächsten Tag frei.
02.08. – Hanfparade in Berlin (ÜPD als Redner*innen)
– Politica 1 – Messe politischer Parteien in Kassel:
Der Infostand der ÜPD in den Hallen der Documenta mit Exponaten wie ÜPD-T-Shirts, Plakaten, Fahnen, Filmen, Aufklebern, Aufnähern, Flyern… und einem Konzept zur Zusammenarbeit kleiner Parteien, das bei der Bergpartei schon auf offene Ohren stieß 😀
20.09. – Afghanistandemo in Berlin (ÜPD im bundesweiten Bündnis. Damals wurden Nazis noch von Friedensdemos verjagt)
11.10. – „Freiheit statt Angst“ Demo gegen Überwachung in Berlin (ÜPD als Teil der Berliner Vorbereitungsgruppe des bundesweiten Bündnisses)
www.youtube.com/user/0sul
25.10. – Veranstaltung des ersten No-Dogma- Kurzfilmfestivals von und für Videoaktivist*innen mit 70 Gästen in Zusammenarbeit mit rotroterbaer in der räumungsbedrohten, immernoch besetzten OUBS
01.11 – Umzug in neue Parteizentrale, das besetzte Haus „OUBS“ in Berlin-Mitte: wöchentliche ÜPD- Treffen jetzt öffentlich
31.04. – Walpurgisnacht-am-Boxi-Demo „Eine mögliche Welt ist anders“ mit 300 TeilnehmerInnen nach Polizeiangaben (spontan, ÜPD)
TAZ 2.5.09 Titelthema: „[…]Mitglieder der ÜberPartei (ÜPD) entfalten ein Transparent mit der Aufschrift „Eine mögliche Welt ist anders“, spontan bildet sich hinter ihnen ein Demonstrationszug und zieht die Gabriel-Max-Str. entlang.“
14.05. – wöchentliche Mahnwache der „Bürgerinitiative für ein menschenfreundliches Kottbusser Tor“ in Zusammenarbeit mit der ÜPD gegen die Vertreibung von DrogenkonsumentInnen
23.05 – Lange Nacht der Überwachung – Veranstaltung der Festlichkeiten „60 Jahre Recht auf zivilen Ungehorsam“ in der OUBS anlässlich der „Langen Nacht der Überwachung – Grundrechtsfeier“. In Zusammenarbeit mit dem Verein „Freiheit statt Angst“ (aka AK Vorratsdaten-speicherung) mit Kurzfilm-Vorführung, Party und über 50 Besucher*innen)
29.06. – Beteiligungsanzeige der „ÜberPartei“ Deutschlands an der Bundestagswahl mit Direktkandidaten
17.07. – Bundeswahlausschuss lässt ÜPD nicht zur Bundestagswahl zu: „Kein ernsthafter Wille zur Beteiligung am politischen Prozess“ (Quelle)
Bundesweite Presseberichte. Gemeinsamer Aufruf mit Bergpartei und APPD an die Mitglieder in den Untergrund zu gehen und gleichzeitig gemeinsamer Brief der drei Parteien an die OSZE-Wahlbeobachtungs-Mission, welche die Kritik in ihrem Bericht aufnimmt. Zwei Jahre später wird ein Gesetz erlassen, dass die Zulassung kleiner Parteien sehr erleichtert. Gemeinsamer Wahlwerbespot mit der APPD.